Soziale Sicherung
Aufgaben der sozialen Sicherung: den einzelnen vor einer unzumutbaren Verschlechterung seiner Existenzbedingungen kollektiv zu schützen; die Verbesserung der materiellen Existenzbedingungen von wirtschaftlich und sozial schwachen Gruppen
Grundprinzipien sozialer Sicherung
Versicherungsprinzip Versorgungsprinzip Fürsorgeprinzip Sicherungsvorausset-zung Mitgliedschaft in Versi-cherung speziell eingeräumter Rechtsanspruch individuelle Notlage Leistungsanspruch bei Eintritt Versicherungsfall bei Vorliegen gesetzlich bestimmter Merk-male bei Bedürftigkeit Leistungshöhe standardisiert nach Art des Versicherungsfalls standardisiert nach Art des Versorgungsfalls individualisiert nach Art und Umfang der Bedürftigkeit Gegenleistung Versicherungsbeiträge nichtfinanzielle Sonderopfer für Gemein-schaft nein Bedürftigkeitsprüfung nein nein ja Sicherungszweige Sozialversicherungen Kriegsopferversorgung, soziale Entschädi-gung bei Impfschäden, Beamtenversorgung Sozialhilfe, Jugendhilfe, Resozialisierung, Wohngeld Versicherungspflicht: der Bürger kann den Versicherungsträger selbst auswählen, z. B. Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung Pflichtversicherung: der Bürger muss seiner Versicherungspflicht bei einem bestimmten Versicherungsträger nachkommen, z. B. gesetzliche Rentenversicherung
Die 5 Sozialversicherungen
- Rentenversicherung
- Leistungen: Rente bei Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit und im Alter; sowie Rente an Hinterbliebene; Heilbehandlung; Re-habilitation
- Träger: Bundesanstalt für Angestellte, Landesversicherungsanstalten (für Arbeiter)
- Beiträge: 18,5 % des Bruttolohns
- seit 1889
- Arbeitslosenversicherung
- Arbeitslosengeld, Berufsberatung, Arbeitsvermittlung, berufliche Fortbildung, Umschulung
- Träger: Bundesanstalt für Arbeit; unterstellt: Arbeitsämter
- Beiträge: 6,5 % des Bruttolohns
- seit 192
- Krankenversicherung
- Leistungen: Arzt-, Zahnarzt-, Krankenhausbehandlung; Arzneimittel; Entbindung; Krankheitsfrüherkennung
- Träger: Krankenkassen
- Beiträge: etwa 12 bis 14 % des Bruttolohns, AOK 13,5 %, DAK 13,8 %
- seit 1883
- Pflegeversicherung
- Leistungen: Häusliche und stationäre Pflege; Pflegegeld, Sachleistungen, Beiträge zur Rentenversicherung
- Träger: Pflegekassen der Krankenkassen
- Beiträge: 1,7 % des Bruttolohns
- seit 1995
- Unfallversicherung
- Leistungen: Unfallrente, Heilbehandlung, Unfallverhütung, Förderungsmaßnahmen für Behinderte
- Träger: Berufsgenossenschaften; eigene Versicherungen für Städte, Länder und Bund
- Beiträge: zahlt der Arbeitgeber allein
- seit 1884
- man muss sich versichern
- Beiträge sind abhängig vom Gehalt
- sozialer Ausgleich/ Lastenausgleich (Familie)
- Unfallversicherung zahlt nur der Arbeitgeber
- bei RV: Dynamisierung der Renten, Generationenvertrag
- neue Risiken, andere Risikogruppen
- Finanzierungskrise/ Sozialleistungsquote zu hoch -> Staatsverschuldung zu hoch
- Belastung des Arbeitseinkommens
- Lohnnebenkosten zu hoch
- steigende AL-Zahlen/ immer mehr Langzeit-AL
- Unübersichtlichkeit der Hilfen
- Aufbau Ost
- Subsidiarität statt Solidarität
- Strukturkrise (Bergbau/Montan/Landwirtschaft/Werften)
Generationenvertrag: Umverteilung von Einkommen von den aktiven Jahrgängen zu den Älteren und Erwerbsunfähigen
Solidarausgleich: sozialer Ausgleich: die relativ schwachen Mitglieder sind die Nettoempfänger, die relativ starken die Nettozah-ler
Subsidiarität: gegen den Zentralismus gerichtete Anschauung, die dem Staat nur die helfende Ergänzung der Selbstverantwor-tung kleiner Gemeinschaften, bes. der Familie, zugestehen will
Solidarität: Zusammengehörigkeitsgefühl, Gemeinsinn, enge Verbundenheit
Dynamisierung: Anpassung der Renten an die Entwicklung der Nettoeinkommen der beitragszahlenden Arbeitnehmer
Phasen der Sozialpolitik seit 1949
1949 - 1953 Wiederaufbau und Neubeginn
1954 - 1976 Reform und Expansion
1977 - 1990 Krise und Anpassung
1990 - 1998 Umbau
ab 1949:
- radikaler Neubeginn: katastrophale Lebensbedingungen, 2/5 der Bevölkerung waren unmittelbar kriegsgeschädigt
- wirtschaftlicher Wiederaufbau war notwendig: Voraussetzungen dafür waren Währungsreform 1948 und Abschaffung staatlicher Preiskontrollen und Mengenzuteilungen
- 2 große Aufgaben auf dem Gebiet der Sozialpolitik: kriegsgeschädigten Bürgern mussten Existenzhilfen angeboten wer-den; Arbeitnehmerrechte mussten erneuert werden (soziale Selbstverwaltung, Tarifautonomie, Mitbestimmung)
ab 1954:
- Wohlstandssteigerung in allen Bevölkerungsschichten
- System der sozialen Sicherung wurde neu organisiert und verwaltungsmäßig vereinfacht, wichtige Maßnahmen:
- Zahlung von Kindergeld an alle Arbeitnehmer und Selbstständige mit drei und mehr Kindern (1954)
- Dynamisierung der Rente (1957)
- staatliche Preis- und Absatzgarantien für Landwirte (1955)
- Fördermaßnahmen im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus (1952)
- Bundessozialhilfegesetz (1961)
- Weiterentwicklung der sozialstaatlichen Ordnung:
- Lohnfortzahlungsgesetz (1969) für Arbeiter, bisher nur für Angestellte
- finanzielle Förderung der beruflichen Bildung wird erweitert (1969)
- allen bedürftigen Schülern und Studenten wird ein Anspruch auf Ausbildungsbeihilfe eingeräumt (1971)
- Mitbestimmung der Arbeitnehmer in allen Großunternehmen (1976)
- geringes Wirtschaftswachstum, hohe Arbeitslosigkeit, Kürzungen (1977 - 1981):
- Zuwachsraten der Ausgaben für Leistungen von Ärzten und Krankenhäusern und für Arzneimittel
- Zuwachsraten der Alters- und Invaliditätsrenten
- Finanzhilfen für Zwecke der beruflichen Bildung
- Ausbildungsförderung für Schüler
- Zuwachsraten der Renten und Leistungsansprüche an die AL-Versicherung
50er und 70er Jahre: Sozialleistungen sind stärker gestiegen als das Gesamteinkommen bis Ende der 80er Jahre: Abfall der Sozialleistungen durch verschiedene Sparmaßnahmen
Probleme:- steigende Sozialleistungen bedeuten steigende Finanzierungslasten
- besonders deutlich in der Sozialversicherung, weil die Ausgaben durch Beiträge gedeckt sein müssen
- Belastung der Arbeitseinkommens mit Sozialversicherungsbeiträgen ist von 12 % Ende der 20er Jahre über 20 % 1950 auf knapp 36 % (1990) gestiegen
- grundsätzliche Zielrichtung und Ausgestaltung der Sozialpolitik:
- überwiegend auf Arbeitnehmer zugeschnitten, kaum auf kinderreiche Familien, nicht erwerbstätige Mütter, Behinderte, weil sie weniger gut organisiert sind
- hauptsächlich unpersönliche finanzielle Hilfen, kaum humane Hilfen, z. B. persönliche Beratung und Betreuung für alte und kranke Menschen
- Zentralisierung nimmt zu: keine bürgernahe Politik mehr
- Sozialsystem ist undurchschaubar
- Effizienz sozialer Ausgleichsmaßnahmen:
- Der staatliche Schutz ist teilweise sehr großzügig, z. B. Nettorenteneinkommen im öffentlichen Dienst höher als Nettoar-beitseinkommen
- bei schlechter Arbeitsmarktlage wird die Sicherung für viele Arbeitslose schlechter, weil sie kein Arbeitslosengeld mehr bekommen oder weil sie gar keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld/-hilfe erwerben können / schwierige Bedingungen
- Ausgleich zwischen reich und arm: Vorwurf: der Staat steckt den Bürgern nur das in die eine Tasche, was er ihnen aus der anderen nimmt.
- anhaltend hohe Arbeitslosigkeit:
- seit Mitte der 70er Jahre anhaltend hohe Arbeitslosigkeit: 1965 1,5 %, 1975 4-5 %, 1978/79 9-10 %, 1990 7 %
- Maßnahmen, um die vorhandene Arbeitsplatzlücke zu schließen:
- Schaffung eines günstigen Klimas für private Investitionen, denn die Arbeitsplatzlücke korrespondiert mit einer Art Investitionslücke
- Eine flexible Anpassung der beruflichen Qualifikation an die sich rasch wandelnden Tätigkeitsanforderungen
- Bremsung im Anstieg der Kosten, die die Beschäftigung von Arbeitnehmern verursacht
- Neuverteilung der Arbeit durch Arbeitszeitverkürzung