Der Lernblog von Lern-Online.net hat mit Dario Mohtachem, dem Herausgeber von migration-business.de über Chancen und Probleme der Migration, die Rolle der ethnischen Wirtschaft und über die Unternehmerkultur in Deutschland gesprochen.
Lernblog: Herr Mohtachem, stellen Sie sich bitte einmal kurz vor und erzählen Sie uns was migration-business ist.
Dario Mohtachem: migration-business ist das ethnische Wirtschaftsmagazin für Deutschland, das bedeutet: Wir berichten über Fach- und Führungskräfte mit Migrationshintergrund aus den unterschiedlichsten Branchen.
Kurz gesagt: Über die ethnische Wirtschaft. Wir präsentieren Einwanderer mit ihren Ideen, Geschichten und Errungenschaften und wollen dadurch mit unserem Magazin aufzeigen, wie wertvoll kulturelle Vielfalt für Deutschland ist. Wir geben dadurch aufstrebenden Unternehmern eine Perspektive, liefern ihnen Vorbilder und unterstützen sie mit Karrieretipps auf ihrem Weg.
Lernblog: Was sind die wichtigsten Fähigkeiten, die ein Migrant in Deutschland haben muss, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein?
Dario Mohtachem: Ich denke, dass Migranten oftmals schon viele wichtige Fähigkeiten mitbringen, vor allem diejenigen die auch über Migrationserfahrung verfügen. In Deutschland herrscht noch häufig ein Bild des „Migranten“ als sozial schwach und als passives Opfer der Gesellschaft. Hier liegt wertvolles Potential brach. Viele Migranten verlassen ihre Heimat, nehmen allerlei Strapazen auf sich und überwinden größte Belastungen, nur um sich eine bessere Zukunft in Deutschland zu ermöglichen. Zudem sehen sie sich häufig konfrontiert mit Zuschreibungsprozessen der Mehrheitsgesellschaft. Sie sind daher flexibel, belastbar und haben bereits gelernt mit Problemen umzugehen. Migranten müssen aber die gleichen Fertigkeiten mitbringen wie Einheimische, um erfolgreich zu sein. Den Vorteil den viele Migranten mitbringen ist zweifelsfrei die Mehrsprachigkeit. Die Nachteile liegen eher in den Deutschkenntnissen, vor allem bei Menschen, die spät zugewandert sind und in der Qualität der Netzwerke. Die autochthone Bevölkerung hat über Generationen Netzwerke aufgebaut und gepflegt. Und Netzwerke sind mitentscheidend, wenn es um die Vergabe von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen geht. Hier gilt es anzusetzen, um viele Migranten wirtschaftlich besser zu integrieren – man muss wirtschaftliche Netzwerke und Brücken schaffen, die der heutigen Einwanderungsgesellschaft entsprechen.
Lernblog: Was muss die Politik in Deutschland machen, damit Migranten nicht in Parallelgesellschaften aufgehen, sondern ein gutes Miteinander zwischen verschiedenen Kulturen bestehen kann?
Dario Mohtachem: Die Politik ist bereits auf einem guten Weg: Erst kürzlich wurde das Anerkennungsgesetz beschlossen, so dass viele Menschen, die im Ausland einen Abschluss erworben haben, darauf hoffen können, dass ihr Abschluss anerkannt wird und sich so neue Perspektiven eröffnen. Zudem wurden die Hürden für Zuwanderer gesenkt: Das Mindesteinkommen wurde von 66.000 auf 48.000 Euro gesenkt, was noch nicht genug ist, aber es geht in die richtige Richtung. Doch die Politik allein kann mit Gesetzen nicht viel bewirken. Es muss auch bei den Menschen vor Ort ankommen. Daher muss die Politik Vereine und Organisationen unterstützen, die sich um ein besseres kulturelles Miteinander bemühen und Brücken zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft bauen. Kein Gesetz hilft, unabhängig davon wie gut es gemeint ist, wenn Menschen nicht wirtschaftlich teilhaben können. Daher haben wir migration-business gegründet: Viele Probleme haben einen wirtschaftlichen Nährboden: „Die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg!“ oder „die liegen uns doch nur auf der Tasche!“ sind falsche Aussagen, denen wir durch unsere Berichterstattung zu entgegnen versuchen. Aber nicht nur das Aufzeigen hilft weiter: Wir brauchen auch die Unterstützung der Politik: Das Ziel der Politik sollte sein, Menschen in Beschäftigung zu bekommen und mehr Menschen mit Migrationshintergrund partizipieren zu lassen. Durch die Wahlberechtigung werden Menschen motiviert, sich mit politischen Inhalten auseinanderzusetzen und durch das Arbeitsleben treten Menschen unterschiedlicher Herkunft in Kontakt zueinander. Durch den interkulturellen Austausch zwischen Einheimischen und Einwanderern können neue Ideen und Innovationen entstehen, die Deutschland bereichern und die Wirtschaft ankurbeln. Das muss die Politik erkennen.
Lernblog: Planen Sie für ihr Online-Magazin ein extra Ausgabe für Tablet-PCs bzw. Smartphones oder/und planen sie auch eine Printausgabe zu verwirklichen?
Dario Mohtachem: Wir haben zunächst als Onlinemagazin gestartet, da wir seit Jahren erkennen können, dass immer weniger Menschen Printmedien konsumieren. Stattdessen werden soziale Netzwerke, Onlinemedien und Apps interessanter in der Zukunft und besonders von jungen Menschen häufiger genutzt. Es ist also durchaus möglich, dass wir in naher Zukunft eine App oder extra Ausgabe für Smartphones erstellen. Das Printmagazin ist aktuell noch nicht in Planung, auch wenn wir es nicht ausschließen wollen.
Lernblog: Halten Sie Deutschland für ein unternehmerfreundliches Land für Migranten?
Dario Mohtachem: Ich denke, dass Deutschland auf einem guten Weg ist: An verschiedenen Universitäten wie beispielsweise der FU Berlin werden „Business-Plan“-Wettbewerbe durchgeführt und Studenten werden auf ihrem Weg in die Selbstständigkeit unterstützt. Mikrokreditinstitute und beispielsweise die IBB-Bank in Berlin vergeben Kredite an Menschen, die eine Idee haben und sich versuchen selbstständig zu machen. Darüber hinaus gibt es noch viele Beratungsstellen für Existenzgründer. Trotz allem kann ich Deutschland noch nicht als Unternehmer-„freundlich“ bezeichnen. Selbstständigen werden noch häufig zu viele Steine in den Weg gelegt. Man muss Genehmigungen an verschiedensten Stellen einholen und wird demnach überwältigt von deutscher Bürokratie. Besonders Menschen, die nach Deutschland einwandern, verfügen meist nicht über ausgezeichnete Deutschkenntnisse und müssen sich zudem in einem neuen System einfinden. Sie fragen sich: „Warum muss ich mich hier und da anmelden, obwohl ich doch nur mein Geschäft eröffnen und mich wirtschaftlich betätigen will?“ Viele erkennen noch immer nicht den Beitrag der Unternehmer für das Gemeinwesen: Sie schaffen Arbeits- und Ausbildungsplätze, geben vielen Menschen eine Perspektive und zahlen Steuern, die zur Alimentierung der deutschen Sozialkassen beitragen. Wir sollten Unternehmer und Existenzgründer mehr wertschätzen: Sie investieren Zeit, Geld und Anstrengung, um sich aus eigener Kraft etwas aufzubauen und ihre Träume zu verwirklichen, was wiederum vielen anderen Menschen langfristig zu Gute kommt. Sie sitzen nicht da, sondern „unternehmen“ etwas.
Lernblog: Viele Migranten sind Flüchtlinge wie Umweltflüchtlinge, Klimaflüchtlinge und Wirtschaftsflüchtlinge. Was können die Deutschen tun, damit sich die Flüchtlinge von den Strapazen in ihrem Heimatland befreien und sich in Deutschland wie zu Hause fühlen?
Dario Mohtachem: Ich habe einige Personen getroffen, die als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind und sich heute erfolgreich eine Existenz aufgebaut haben. Sie hatten jedoch anfangs hart zu kämpfen. Flüchtlinge, die einer Diktatur entflohen sind, kamen in den demokratischen Rechtsstaat Deutschland. Doch eine rechtstaatliche Demokratie fanden sie hier nicht vor. Die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben bleibt Flüchtlingen meist untersagt. Es ist durchaus verständlich, dass Menschen ohne deutschen Pass anfangs von einigen Privilegien eines Staatsbürgers ausgeschlossen werden können. Doch sie auch gänzlich vom Arbeitsleben und grundlegenden Rechten auszuschließen, ist fatal. Die Menschen, die in Deutschland aufgewachsen sind, können sich oftmals nicht vorstellen, wie es in den Herkunftsländern der Flüchtlinge zugeht und begehen ein Verbrechen, wenn sie diese einfach zurückschicken wollen oder in Deutschland keine Perspektiven ermöglichen. Zunächst können wir in Deutschland versuchen mehr Menschen mit Migrationshintergrund in den Ausländerbehörden zu beschäftigen. Der Alltag in Ausländerbehörden wurde mir von einigen Menschen beschrieben, die jeden Monat darum bangen mussten, nach Hause geschickt zu werden. Vielen Beamten fehlt es dort an gewisser Sensibilität und interkultureller Kompetenz. Besonders das Wort „Wirtschaftsflüchtling“ finde ich beschämend. Es ist völlig normal, dass Menschen, die in ihrem Land keine wirtschaftlichen Perspektiven für sich und ihre Familie sehen, sich ein Leben unter besseren Umständen ermöglichen wollen. Aber meiner Ansicht nach gibt es keine Rechte ohne Pflichten: Migranten, die neu zuwandern, müssen ihren Beitrag leisten und versuchen an der deutschen Gesellschaft teilzuhaben. Aber man muss auch von Seiten der Mehrheitsgesellschaft Menschen anderer Herkunft mit einem Grundrespekt und Toleranz begegnen, unabhängig davon, wo diese Menschen herstammen. Es ist immer ein Geben und Nehmen.
Lernblog: Ist es in Planung euer Magazin migration-business in einer anderen Sprache online zu stellen bzw. eure Artikel auf Englisch übersetzen zu lassen?
Dario Mohtachem: Wir planen das Magazin künftig auch so weit wie möglich in die englische Sprache zu erweitern, da es sich schließlich um ein Magazin handelt, das sich mit Migration und internationalen Themen befasst und zudem Kontakte zur diplomatischen Szene Deutschlands pflegt.
Lernblog: Denken Sie, das Wirtschaftsethik heutzutage noch eine große Rolle spielt bei dem Handeln deutscher Unternehmer und Unternehmerinnen?
Dario Mohtachem: Ich hoffe es zumindest. Einseitiges Streben nach Gewinn wird langfristig keinen Erfolg bringen. Soziale Verantwortung und moralische Werte sollten das Handeln der Unternehmer immer begleiten.
Lernblog: Wer wird im 21. Jahrhundert in die Geschichte als Supermacht eingehen, die USA, die Volksrepublik China oder etwa die Europäische Union?
Dario Mohtachem: Die Europäische Union tut sich derzeit etwas schwer. Viele schauen nur auf den Preis der Eurokrise, aber vergessen den Wert der EU. Vor allem Deutschland zahlt zwar am meisten in den Topf ein, aber ist auch als Exportnation Nutznießer der EU.
Die Menschen halten die Errungenschaften der Europäischen Union fälschlicherweise für selbstverständlich. Europa war eine Region, in der es häufig Kriege gab und sich einige Staaten feindseelig gegenüber standen. Durch die EU wurde Frieden und Wohlstand nach Europa gebracht. Alle Schritte zurück zu klassischen Nationalstaaten sind Schritte in die falsche Richtung. Probleme können heutzutage nur noch länderübergreifend angegangen werden.
Wer als Supermacht in die Geschichte eingeht, kann ich jedoch schwer sagen. Wir müssen aber klar erkennen, dass China bereits zu einem „global player“ geworden ist, der in der Weltpolitik zunehmend an Einfluss gewinnt und mitmischen wird.
Sollte Deutschland die Vorteile und Bereicherung der Migration entdecken, so ist es möglich, dass deutsche Unternehmer zusammen mit Unternehmern aus dem Ausland Joint Ventures eingehen und ausländische Märkte für Deutschland neu entdecken können.
Lernblog: Vielen Dank für das Gepräch!