Interview mit Lucas Wyrsch

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Lucas Wyrsch ist für mich in letzter Zeit häufig die ultimative Anlaufstelle für Anfragen über Web 2.0 und deren eigentlichen Nutzen, wie Netzwerke funktionieren und wie wir Lern-Online verbessern sollten, unter anderen durch ihn kam ich auf die Idee den Lernblog zu starten. Ich halte Lucas Wyrsch für einen sehr netten und interessanten Menschen und wollte etwas von seiner Lebenserfahrung bzw. Web-Technologie Wissen euch teilhaben lassen. Hier kommt das Interview:

Bild von Lucas Wyrsch 2006

Bild von Lucas Wyrsch 2006

Lern-Online.net: Lieber Herr Wyrsch, vor eineinhalb Jahren traf ich sie im Diskussionsforum Ayom, dabei versuchten Sie für “Lern-Online„ viele hilfreiche Tipps zur Optimierung und Verbreitung zu machen. Mittlerweile haben wir auch deutlich unsere Besucherzahlen gesteigert und es gibt mehr aktive User im Forum. Was sollten wir ihrer Meinung nach machen, damit Lern-Online noch mehr bekannt wird und vor allem positiv bekannt wird?

Lucas Wyrsch: Guten Morgen Herr Kosba,Vielen Dank für Ihr Interview.
Wichtig beim Optimieren von Sites ist, daß sich das alexa ranking permanent verbessert, beziehungsweise, daß sich der Traffic verbessert. Solange die Besucherzahlen von “Lern-Online„ steigen, steht alles zum Besten. Mehr Traffic erhält man durch ein besseres PageRank, das durch größere Aktivitäten in Foren und sozialen Netzwerken, aber auch durch gute Affiliate Programme, interessante Blog Beiträge und mehr Kundenzufriedenheit erreicht wird. Eine der wichtigsten Komponenten ist das Vertrauen der Nutzer, wie es Dean Lindsay in Cracking the Networking Code erklärt.

Lern-Online.net: Sie haben jede Menge Erfahrungen mit neuen Web-Techniken bzw. Trends, die auch unter dem Begriff “Web 2.0“ bekannt sind wie RSS, Blogs, Social Networks und ähnlichen Trends des 21. Jahrhunderts. Was ist so innovativ an diesen Techniken und was wird die Zukunft, ihrer Meinung nach kommen? Vor allem im Bezug auf E-Learning, wie es das Projekt “Mindpicnic“, mit dessen Webmaster wir ebenfalls ein Interview führten, mit einer Web 2.0 Idee des E-Learnings versucht ?

Lucas Wyrsch: Web 2.0 ist primär ein Paradigmenwechsel aus der geschlossenen, proprietären Welt in die offene Ära der Zusammenarbeit. Das schönste Beispiel sehen wir bei Microsoft, wo Bill Gates, der die Kernaktivität von Microsoft im Verkauf von Lizenzen gesehen hat, sich durch seinen Rivalen und Konkurrenzen Ray Ozzie ersetzen ließ, der ein ausgesprochener Spezialist von Software im Bereich der Zusammenarbeit ist. Schaufenster aus der klassischen Welt der industriellen Revolution werden im Zeitalter des IKT (Informations- und Kommunikationstechnologie) durch Tags ersetzt und das Advertising wird zum Tagvertising, beziehungsweise zur Folksonomy.

Lern-Online.net: Studienplätze sind begrenzt, jedoch gibt es jedes Jahr eine große Nachfrage nach Studienplätzen. In der FU Berlin gibt es schon jede Menge Bemühungen E-Learning Elemente zu verwirklichen, wie man unter E-Learning an der FU Berlin in der Wikipedia nach lesen kann. Inwieweit kann e-Learning ihrer Meinung nach den Besuch eines Hörsaals ersetzen bzw. ergänzen ?

Lucas Wyrsch: E-Learning wird immer wichtiger, weil es zeitlich und räumlich unabhängig ist und dadurch viel günstiger wird, denn man spart einerseits die Transportkosten in den Hörsaal ein und hat andererseits auch keine, durch Transport verursachte, Zeitverluste. Da es beim Studium jedoch immer auch darum geht, sich ein Beziehungsnetz aufzubauen und dies beim eLearning fehlt, soll, wer sich online weiterbildet, sich auch gleichzeitig in sozialen Netzwerken wie beispielsweise ecademyLinkedInopenBC oder orkut einschreiben, denn Wissen allein, selbst in der heutigen Wissensgesellschaft, ohne Vernetzung, Kontakte und Beziehungen bringt den gewünschten Erfolg nicht unbedingt. Viel mehr geht es darum, wie Mark Granovetter in “The strength of weak ties„ erklärt, sein soziales Netzwerk nicht nur auf Freunde zu beschränken, sondern auch auf entferntere Beziehungen zu erweitern und dafür sind online soziale Netzwerke sehr geeignet.

Lern-Online.net: In ihren openBC Profil steht das Sie 9! Sprachen beherrschen. Damit übertreffen sie sogar unseren Fremdsprachen-Redakteur Richard Jörges, der 8 Sprachen beherrscht. Wie haben Sie es geschafft so viele Sprachen zu erlernen und wie schaffen sie es, alle 9 Sprachen im täglichen Leben zu verwenden bzw. nur irgendwie zu wiederholen, um das Gelernte vor 10 bzw. mehr Jahren nicht zu vergessen?

Lucas Wyrsch: Sprachen sind Vektoren der Kommunikation. Wer viel und aktiv reist, wird viele Sprachen lernen. Einer der bekanntesten deutschen Archäologen, Heinrich Schliemann, soll neben deutsch auch noch englisch, französisch, niederländisch, spanisch, portugiesisch, schwedisch, italienisch, griechisch, lateinisch, russisch, arabisch und türkisch gesprochen, geschrieben und gelesen haben. Im Cluetrain Manifesto lernen wir, daß Märkte Gespräche sind. Einer der Gründe des ausserordentlichen Erfolges von Google liegt in der Mehrsprachigkeit, denn Google ermöglich, die eigene Google Suchmaschine gegenwärtig in über 117 Sprachen einzustellen. Weltweit sollen rund 6’700 Sprachen gesprochen werden, nur etwas mehr als 200 werden jedoch von über einer Million Menschen gesprochen und nur eine von über einer Milliarde und es handelt sich nicht um englisch, sondern um chinesisch. Chinesisch wird nicht nur in China, sondern auch in Japan und Korea geschrieben, wobei sowohl Japan als auch Korea auch über ihre eigenen Alphabete verfügen. Japan verfügt neben dem Kanji (den chinesischen Schriftzeichen) gleich noch über zwei eigene Alphabete, dem Hiragana, das japanische Begriffe, für welche es kein Kanji Schriftzeichen gibt, beinhaltet und Katakana, das vor allem von anderen Sprachen in die japanische Sprache importierte Ausdrücke darstellt. Chinesisch wird zwar nur von 16% der Weltbevölkerung gesprochen, aber von 25% geschrieben und gelesen, wenn man beide chinesischen Schreibweisen, die vereinfachten kurzen und die traditionellen langen, zusammenzählt.

Lern-Online.net: Sie haben in Peking, der Hauptstadt von China studiert. Erzählen Sie uns bitte etwas über dieses interessante Land und deren Zukunftsvisionen. Suchmaschinen zensieren die Suchergebnisse in China und Menschen arbeiten dort wie Maschinen, damit wir Europäer alles günstig bekommen – stimmen Sie diesen Aussagen überein ?

Lucas Wyrsch: Der Chinese Bi Sheng entwickelte in China zwischen 1041 und 1048 die Druckkunst mit beweglichen Lettern rund 400 Jahre vor dem Deutschen Johannes Gutenberg. China hat auch den Kompass erfunden und beherrschte alle Weltmeere bis ins Jahr 1433 . Nachdem im Jahr 1433 der chinesische Kaiser XuanDe den Bau großer chinesischer Meerschiffe und den Außenhandel unter Androhung der Todesstrafe verbieten ließ, begann für China die Isolationsphase, welche durch die vierte Bauphase der chinesischen Mauer noch amplifiziert wurde. Die Folge war, daß China den Vorsprung in Technologie, Wissenschaft, Kunst und Literatur zu verlieren begann. Die chinesische Astrologie kennt 12 Jahre und 5 Elemente und unterteilt sich in 60 jährige Zyklen. Der russische Wirtschaftswissenschafter Kondratieff entwickelte unabhängig von den Chinesen Zyklen von 60 Jahren, die er „ die langen Wellen der Konjunktur„ nannte und anhand empirischen Materials aus Deutschland, Frankreich, England und den USA feststellte, daß die kurzen Konjunkturzyklen von langen Konjunkturwellen überlagert werden. Diese rund 60 Jahre dauernden langen Wellen bestehen aus einer länger andauernden Aufstiegsphase und einer etwas kürzeren Abstiegsphase. Basiere ich mich auf Kondratieffs lange Zyklen und nehme ich das Jahr 1433 als Beginn des Abstiegs komme ich nach zehn großen Kondratieffzyklen von 60 Jahren ins Jahr 2033! Meiner Hypothese nach dürfte im Jahr 2033 China wieder die Weltvormacht in Technologie und Forschung erreicht haben.

Lern-Online.net: Wie wird in China gelernt? Damit meine ich den Stellenwert von Bildung in der Gesellschaft und Politik. Ich habe nämlich dazu gerade eine interessante Website gefunden: Umfangreichste Bildung der Welt – kein Wunder, bei dir Masse an Menschen müssen einfach die Genies von morgen zu finden sein, denken Sie auch so ?

Lucas Wyrsch: Bildung ist in der konfuzeanischen Kultur Chinas das wichtigste überhaupt. Konfuzius gründete eine Schule der Philosophie, deren zentraler Wert die Ordnung war, die seiner Meinung nach durch Achtung vor anderen Menschen und Ahnenverehrung erreichbar wird. Im Mittelpunkt seines Denkens stand der „Edle„, ein moralisch einwandfreier Mensch. Der Gedanke der Harmonie spielt eine bedeutende Rolle in seiner Weltanschauung: “Den Angelpunkt zu finden, der unser sittliches Wesen mit der allumfassenden Ordnung, der zentralen Harmonie vereint„, sah Konfuzius als das höchste menschliche Ziel an. “Harmonie und Mitte, Gleichmut und Gleichgewicht„ seien das Ziel. “Lernen ohne zu denken ist sinnlos, aber denken ohne zu lernen ist gefährlich„. Das Portal Sina.com veröffentlicht in ihrem Media Kit eine interessante, statistisch relevante Studie, nach der Chinesen in den USA die höchste Quote an Universitätsdiplomanden hätten. Chinesen lernen übrigens erstaunlich viel online. Aber auch in Japan gehört Bildung, seit dem Einfluss von Fukuzawa Yukichi als wichtigste Voraussetzung der Modernisierung.

Lern-Online.net: Blended Learning habe ich vor ein paar Wochen entdeckt, jedoch kenne ich dafür keine praktischen Beispiele. Kurzgefasst Blended Learning will die Vorteile von e-Learning nutzen , also die Flexibilität und Effektivität und die Nachteile sollen durch soziale Aspekte der Kopf-zu-Kopf Kommunikation verbinden. Was hälst du von diesen Ideen und wie denkst du über deren zukünftigen Erfolgsaussichten?

Lucas Wyrsch: Ich erwähnte am Anfang, daß lernen allein, ohne Aufbau eines sozialen Netzes, nicht optimal sei. Blended Learning ermöglicht eine Kompensation des Lernens mit dem Aufbau eines sozialen Netzwerkes. Ich denke, daß man heute durch online soziale Netzwerke beides vereinen kann. Wer nicht an online sozialen Netzwerken teilnehmen will, wird mit Blended Learning eine sinnvolle Alternative finden.

Vielen Dank für das sehr informative Interview!

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