In meinem Beitrag „Das Bildungssystem der Türkei“ hatte ich über jenes berichtet und kritisiert. In diesem soll es um das Thema „Studieren in der Türkei“ gehen, da ich mir in den letzten Jahren einen Überblick hierüber verschaffen konnte.
INHALTSVERZEICHNIS
Der Uni-Zugang: Nur wohlhabenden Familien zumutbar
Wie bereits im letzten Artikel erwähnt, müssen Schüler nach dem Schulabschluss eine Uni-Zugangsprüfung bestehen, bevor sie die Zulassung an eine Universität erhalten. Hier beginnt auch schon die Kritik. Schüler, die zuvor nicht wirklich gezwungen waren, richtig zu lernen, erfahren nun, was es bedeutet, gefordert zu werden. Ohne zusätzliche Unterstützung schafft fast kein Schüler den Sprung auf die Hochschule. So kommt es vor, dass der Jahrgangsbeste einer Abschlussklasse kläglich an der Uni-Zulassungsprüfung scheitert. Hier in Deutschland könnte dieser sich die beste Universität und auch das gefragteste Studienfach aussuchen. Obwohl Abiturienten in Deutschland solch ein „goldenes Armband“ – wie man in der Türkei gerne sagt – mitgegeben wird, bevorzugen noch viele eine Berufsausbildung.
Dadurch dass ein Uni-Zulassung nur mit zusätzlicher Unterstützung von Nachhilfelehrern und -institutionen möglich ist, ist das Studieren in der Türkei leider nur wohlhabenden Familien vorbehalten. Ärmere verkaufne Land und Hof in der Hoffnung, dass das eigene Kind es einmal besser hat. Scheitert das Kind, ist der materielle als auch psychologische Krater groß. Es kommt nicht selten vor, dass Schüler 2-3x an dieser Prüfung scheitern. 2-3 Jahre eines noch so jungen Lebens, dass weggeschmissen ist.
Was und vor allem wo studieren?
In der Türkei ist es nicht nur wichtig, WAS man studiert, sondern WO man studiert. So sollte man mit seinen erreichten Punkten schon auf eine der renommierten Universitäten in Ankara, Istanbul oder Izmir kommen, um international mithalten zu können.
Die Wahl des Studienfachs und der Universität ist ein weiterer Kritikpunkt, der unbedingt reformiert werden müsste. So müssen Prüfungsbesteher eine schwierige Wahl treffen. Auch hierfür benötigen sie meist externe Hilfe. So kann es vorkommen, dass ein technisch begabter Mensch, der Ingenieurswesen studieren könnte, aus Angst nicht aufgenommen zu werden ein Lehramt angibt. Daher gibt es in der Türkei auch eine Fülle an Lehramtsabsolventen. Um die alle zu platzieren, gibt es wiederum eine Prüfung. Ein Chaos!
Das Vordiplom in Bachelor-Pelz
Das Studieren in der Türkei dauert vier Jahre. Hat man den ganzen Stress zuvor hinter sich gelassen, der Schülern als auch Eltern schlaflose Nächte bereitet, darf man sich Student schimpfen. Ich schreibe bewusst „schimpfen“, da die ersten zwei Jahre des Studium nichts mit Studieren zu tun haben.
Im ersten Jahr seine Studiums muss beispielsweise ein angehender Bauingenieur folgende Fächer belegen:
- Geschichte
- Türkisch
- Biologie
Im zweiten Jahr sieht sein Lehrplan Folgendes vor:
- Geografie
- Chemie
- Englisch
Wie man sieht, alles Fächer, die keinen direkten Bezug zum Bauingenieurwesen besitzen. Erst im dritten Jahr werden Vorlesungen des eigentlichen Faches besucht. In den vier Jahren, nach dessen Ende man einen Bachelorabschluss erhält, hat man nach deutschen Standards eigentlich maximal ein Vordiplom erreicht.
Die späte internationale Rache
2009 kam ein Bachelorabsolvent nach Deutschland. Ich habe mich bereit erklärt, ihn zu betreuen. Er hatte die Ege Universität als Drittbester seines Jahrgangs abgeschlossen. Eine renommiert Uni in der Türkei. Hier sollte er dann seinen Master machen. Wofür seine Kollegen zwei Jahre brauchten, dauerte bei ihm 3,5 Jahre. Rückwirkend kann ich sagen, dass es die schwierigsten Zeiten seines Lebens waren. Stressbedingt entwickelte sich sogar Akne in seinem Gesicht. Mit fast 25 Jahren.
Fazit
Allen, die behaupten, studieren wäre in der Türkei schwieriger, kann ich nur sagen: Ihr macht euch etwas vor. Dies scheint nur so, da türkische Schüler nicht gewohnt sind, zu lernen. Ergo fallen ihnen selbst einfache Prüfungen schwer. Ahnungslose Eltern schauen nach Deutschland und sehen, dass hier weniger Tränen fließen. Also muss Studieren in der Türkei schwieriger sein. Der Kollege, der 2009 nach Deutschland kann, klärt nun dort auf.
An allem ist natürlich die schlechte Bildungspolitik in der Türkei Schuld, die seit Jahrzehnte keine Reformen erfahren hat. Ungewöhnlich, da die heutige Regierung immer wieder postuliert, dass „Bildung ernst genommen“ werden soll.
Ja genau, und dann noch in die EU wollen, aber niergends mithalten können und sich dann noch abfällig über Deutschland reden …. Die Politik in der Türkei ist für den Arsch… Lg. Hannes
Naja, es gibt schon erhebliche Fortschritte in der letzten Dekade. Beispielsweise bekommt jedes Kind in der Türkei (1 pro Haushalt) ein Tablet vom Staat und Bücher werden digitalisiert. So etwas gibt es in der BRD noch nicht, obwohl es gut gehen soll.
Im Universitätsbereich gibt es aber noch Nachholbedarf zu den USA oder Europa.
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