Die Informationen, die ich in diesem Artikel weitergebe, stammen von einer Lehrerin aus der Türkei, mit der ich mich über ihren Beruf, ihre Schule etc. unterhielt.
Es gibt keinen Grund für mich, an der Wahrhaftigkeit des Geschilderten zu zweifeln. Meine Absicht ist es nicht, Schulen in der Türkei zu diskreditieren. Vielmehr möchte ich auf einen Zustand aufmerksam machen, um so eine Verbesserung des Bildungssystems zu erreichen.
8 Wochen für einen Stundenplan
Vor Beginn des Schuljahres gibt jeder Lehrer seine Präferenzen der Schulleitung für die Aufstellung des eigenen Stundenplans. Das bedeutet nicht, dass jeder sich einen Stundenplan wünschen darf. Vielmehr teilen diese mit, was bei ihrem Stundenplan zu berücksichtigen ist. Dabei kann es sich z.B. um einen wöchentlichen Termin bei chronischen Krankheiten handeln.
Als am ersten Schultag die Stundenpläne bekanntgegeben wurden, traf die besagte Lehrerin im wahrsten Sinne der Schlag ins Gesicht. Ihre notwendigen Wünsche aufgrund einer Erkrankung wurden kaum berücksichtigt. Sie wurde daraufhin mit den Worten „wird nächstes Mal angapasst“ vertröstet.
Ungläubig erzählte sie mir, dass der endgültige Stundenplan der Lehrer im letzten Jahr erst nach acht Wochen seinen Endstatus erreichte. An eine Wiederholung des letztjährigen Zwischenfalls glaubte sie jedoch nicht.
Tatsächlich sollte es doch acht Wochen dauern, bis der Plan fertiggestellt wurde. Acht Wochen, in denen jede Woche ein neuer Plan vorgelegt wurde.
INHALTSVERZEICHNIS
4 Wochen ohne Reinigung
In einem der Gespräche erwähnte die Lehrerin einer Berufsschule für Mädchen, dass es für die Schule keinen Putzdienst gab. Ich fragte verblüfft nach: „Seit vier Wochen werden keine Sanitäranlagen gereinigt?“. Sie bejahte die Frage.
Wir reden hier nicht von einer Schule im tiefsten Urwald, sondern von einer Berufsschule mit vielleicht über 1.000 Schülern in einer Großstadt der Türkei.
Bei allem Respekt für das Schulministerium der Türkei, aber das konnte es doch nicht sein. Offensichtlich brachten Beschwerden seitens der Lehrer keine Abhilfe. In jenen Tagen suchte man eher keine Toiletten in der Schule auf. Und Klassenzimmer wurden wohl von Lehrern und Schülern mehr oder weniger „sauber“ gehalten.
Die Lösung des Problems ist nicht unbedingt besser als der Zustand zuvor. Offensichtlich aus Geldnöten ging das lokale Schulministerium einen Deal mit dem örtlichen GEfängnis ein. Häftlinge im offenen Strafvollzug sollten so ab der 6. Woche nach Schulbeginn die Schule säubern.
Auffällig ist dabei, dass es sich hauptsächlich um männliche Gefangene handelt und die Lehrerschaft nicht weiß, um welche Straftäter es sich handelt. Weibliche Strafgefangene nahmen erstaunlicherweise nicht am offenen Vollzug teil.
Da es sich beim Reinigungspersonal durchaus auch um Sexualstraftäter handeln konnte, war es den Schülerinnen ab dann nicht mehr erlaubt, Toiletten während des Unterrichtes aufzusuchen. Entweder wartet man bis zur Pause oder…
Eine Schülerin mit eine Nierenleiden durfte nur unter Vorlage eines Attestes während des Unterrichts aufs Örtchen und das – wie mir die Lehrerin berichtet – mit einem unguten Gefühl im Bauch.
Versagen der Politik
Die oben geschilderten Fakten stammen aus dem Jahre 2016. Aus einem Land, dass zum dritten Mal zwei Kontinente miteinander verbunden hat und sich damit rühmt.
Doch in puncto Bildung fehlen bislang die so wichtigen Reformen. Straßen, Brücken, Industrie – all das ist wichtig. Aber war das Wichtigste nicht immer die Bildung?
Die Regierung um die AKP muss sich in diesem Punkt Kritik gefallen lassen. Bisherige Minister des Schulministeriums sind nicht mutig genug, eines der wichtigsten Themen des Landes anzugehen: Die Bildungsreform.
Die AKP verpasst damit eine historische Chance als alleinregierende Mehrheit, signifikante Verbesserungen in dem seit Jahrzehnten maroden Bildungssystem voranzutreiben.
Wie soll sich eine Schülerin auf das Lernen konzentrieren, wenn außerhalb des Klassenzimmers Gefangene herumlaufen, wie wenn der Stundenplan ständig geändert wird. Hinzu kommt, dass an dieser Schule der Unterricht bereits um 06:50 Uhr beginnt. Zu einer Zeit, in der nicht einmal Erwachsene mit der Arbeit beginnen.
Fazit
Es gibt viele Baustellen im türkischen Bildungssystem, so dass man nicht weiß, wo man anfangen sollte. Klug wäre wohl, tabula rasa zu machen, also alles vom Tisch zu räumen und ein komplett neues Bildungssystem z.B. nach dem Vorbild der skandinavischen Länder aufzubauen. Zumindest könnte man sich die „best practices“ dieser Welt anschauen und eine entsprechende Anpassung vornehmen.
Mich machen solche Schilderungen sauer. Unmotivierte bzw. hilflose Lehrer tun ihren Teil noch hinzu, so dass keine Erwachsene mit guter Bildung heranwachsen, sondern eine bildungsfremde Gesellschaft, die diese fehlende Bildungsnähe auch an die Generationen danach weitergibt.